Schlechte Zeiten, gute Zeiten? - Diese Angebote machen Rechtsextreme im Wahlkampf auf TikTok für Jugendliche
von Theresa Lehmann und Mareike Stürenburg
Warum hat die AfD auf TikTok einen großen Resonanzraum? Das liegt weniger an den fragwürdigen Wahl-Beiträgen älterer AfD-Herren als an einem Klima, in dem Rechtsextrem-Sein als vermeintlich legitimer Trend promotet und gefeiert wird, berichten im Gastbeitrag Theresa Lehmann und Mareike Stürenburg, TikTok-Monitoring-Expertinnen der Amadeu Antonio Stiftung.
Nachdem AfD-EU-Politiker und AfD-TikTok-Star Maximilian Krah mit seinen Videos im Europawahlkampf im Stil des maskulinistischen Influencers Andrew Tate auftrumpfte und die daraus resultierende mediale Aufmerksamkeit und Empörung für sich zu nutzen wusste, versucht er im Bundestagswahlkampf an dieser Strategie festzuhalten. Aktuell beschwert er sich auf TikTok über die “Soja-Sörens”, seine Variante der in der amerikanischen Alt-Right beliebten Verunglimpfung der "Soy Boys", also vegetarischer und veganer Männer. Diese, so Krah, seien vermeintlich schwach, weil sie ja kein Fleisch essen. Aber den Zuschauern sagt er, “sei wie Siegfried”, esse Fleisch und trainiere deinen Körper, denn es würde “Kampfesmut” brauchen in Zukunft. Die Anspielung auf das Nibelungenlied ist dabei sicherlich kein Zufall, insbesondere weil der “Walkürenritt” von Wagner dazu so laut spielt, dass man Krah kaum verstehen kann. Allerdings hagelt es in der Kommentarspalte eher Spott. Das rechtsextreme Compact-Magazin bezeichnet Krah aber unbeirrt weiter als “Liebling der Jugend”. Sein Image als Versteher der TikTok-Generation bleibt Krahs Selbst-Marketing-Strategie und da orientiert er sich in der Megalomanie und Ansprache auch gerne an dem weltweit aus der extremen Rechten bewunderten Elon Musk.
Unzufriedenheiten ansprechen
In gezielten Ansprachen von Rechtsextremen auf TikTok wird immer direkter die Unzufriedenheit junger Menschen adressiert. AfD-Politiker geben vor, die Probleme der Jugend ernst zu nehmen. Sie inszenieren sich dabei als erfahrene Mentor*in oder übernehmen den Ansprachestil sogenannter Lifecoaches. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass die Ansprache der jungen Wähler:innen auf TikTok eben nicht von der “Jungen Alternative”, oder ihrer bisher ungeklärten Nachfolge-Organisation geführt wird. Um die Accounts der JA und ihrer bekanntesten Köpfen war es zuletzt erstaunlich still.
Die Videos, mit denen sich die alten Herren der AfD an die Jugend wenden, thematisieren Unsicherheiten, Scham und Abstiegsängste. Die Auseinandersetzung mit Geschlecht, Nationalität und der Umgang mit dem eigenen NS-Erbe werden als lästig und Angriffe auf das Selbst dargestellt, die das individuelle Selbstbewusstsein schwächen würden. Identitätspolitiken werden als zersetzende Kraft diffamiert, die das eigene Selbstverständnis angreifen und so eine Gefahr nicht nur für das Selbstvertrauen, sondern auch für die psychische Gesundheit bilden würden.
Lösung: Volksgemeinschaft 2.0
Heraufbeschworen wird stattdessen die Volksgemeinschaft 2.0, die zu sich steht, die Großelterngeneration verteidigt und sich nicht mehr selbst infrage stellt. Dabei wird augenfällig, dass Akteure wie Krah gerne Ratschläge erteilen und versuchen, möglichst viele Ideologiefragmente in kurzen Videos unterzubringen. Jüngere Aktivisten leben auf TikTok das Gepredigte vor und zeigen körperliche Ertüchtigung, Natur und Nationalbewusstsein, indem man ihnen beim Wandern mit Gleichgesinnten über die Schulter blicken kann.
Dazu ertönt die Gebrauchsanleitung zur Bekämpfung des inneren und äußeren Feindes, gespickt mit Elementen von Verschwörungserzählungen und Feindbildern der so genannten Mosaikrechten aller Strömungen. Die Inhalte werden vorgetragen wie eine sich selbst erfüllende Manifestation, aber im Stile der Ansprache des Personal Trainers. Die Körperpanzerung ist hier das Ziel, der Waldgang genannte Wandertrip wird als rechtsextremer Self- Care-Ausflug dargestellt. Die Inhalte verbreiten sich, ohne Gefahr zu laufen, von der Content Moderation gelöscht zu werden, und transportieren erfolgreich ein rechtsextremes Weltbild.
Rechtsextremer Trendcycle
Doch nicht alle rechtsextreme Ansprache ist mit solcher Ursprünglichkeit gestaltet. Gerade unter jüngeren rechtsextremen Nutzer*innen wird mit der eigenen Gruppenzugehörigkeit "geflext", also angegeben. Sie wird mehr als offen gezeigt. Rechtextreme Creator:innen wie der “Ketzer der Neuzeit” laufen sich schon warm für die in Deutschland kurz vor der Einführung stehenden TikTok-Shops. Deshalb wird viel rechtsextremer Merchandise beworben - Lifestyle-Accessoires für die rechtsextreme Szene, Finanzquelle für die Creator:innen.
Unter dem Hashtag #deutschejugendvoran finden sich junge Menschen, die sich als mehr oder minder stramme Rechte inszenieren. Dabei zeigen sie sich auch gerne im Springerstiefel-Skinhead-Look der 1990er Jahre, posieren zu Technobeats oder lipsynchen zu Klassikern des Rechtsrocks, singen diese also tonlos mit, wie es auf TikTok gern gemacht wird. Auch junge Frauen positionieren sich stolz. Im Mittelpunkt stehen hier selten politische Positionen, sondern das “Rechts sein” wird als Lifestyle präsentiert, im offensichtlichsten Fall noch kombiniert mit einschlägigen Postern im Hintergrund oder codierten Emojis in der Videobeschreibung. Selbstvergewisserung, Anerkennungssuche und Mobilisierung werden zu aktuellen Trendsongs zelebriert.
AfD-Liebe in Outfit-Checks
Im selben Stil verraten Nutzer*innen dieser Tage auch, wen sie wählen werden. Hier wird ein weit verbreitetes Videoformat, der Outfit-Check (Präsentation des Tages-Outfits) genutzt, um sich als AfD-Wähler:in zu zeigen und so die Wahl der AfD zu normalisieren oder gar zu einem Trend zu verklären.
TikTok lebt von kurzweiligen Trends und sogenannten -cores (verschiedene Stile werden so bezeichnet). Dass es sich hierbei bisweilen um mehr als einen harmlosen ästhetischen Ausdruck zur Distinktion handelt, fehlt bisher in der plattforminternen Auseinandersetzung komplett. Diese Art der Pro-AfD-Positionierungsvideos wird vor allem von jungen Frauen genutzt und spricht auch dieselbe Zielgruppe an. Frauen waren bisher - daran ändert auch das weibliche Aushängeschild Alice Weidel wenig - in der rechtsextremen Onlinekommunikation selten Ziel von Ansprachen, aber sie bilden ein großes Neuwählerinnen- und Mitgliederpotential.
Eigener Antrieb oder bezahltes Politfluencing?
Fraglich ist, ob diese Videos alle organisch ausgespielt werden und Creator*innen aus eigenem Antrieb handeln. Politische Werbung ist zwar verboten, bezahltes Politfluencing aber nur schwerlich nachweisbar. Damit soll die Tendenz junger Wähler*innen, offen für rechtsextreme Politik zu sein, nicht relativiert werden. In der Vergangenheit gab es aber nachweislich koordinierte Versuche von Akteuren wie Erik Ahrens, eine rechtsextreme Jugendbewegung zu inszenieren: Nutzer:innen sollten AfD-Sounds und AfD-KI-Songs nutzen, um sie über unpolitische Lipsync-Videos unbeteiligter Frauen zu legen und diese dann neu zu veröffentlichen, um eine Unterstützung der AfD durch junge Frauen vorzugaukeln.
Derartige Täuschungsmanöver bezeichnet man als Astroturfing. Hier wird eine Graswurzelbewegungen, in dem Fall digitaler Natur, vorgetäuscht, um Inhalten Authentizität und Reichweite zu verleihen. Die Frage ist, inwiefern gerade beim Verbot politischer Werbung auf Plattformen wie TikTok transparent gemacht werden kann, ob Politfluencer*innen abseits der Plattform bezahlt werden oder ob vermeintlich unpolitische Videos von rechtsextremen Akteur*innen finanziell gepusht werden.
Fazit
Unsicherheit streuen, Panikmache und Untergangsphantasien gehören seit jeher zu rechtsextremen Kommunikationsstrategien. Dagegen werden einfache Lösungen und Sündenböcke präsentiert und propagiert. Das alles ist weder neu noch originell, und doch scheint es gerade bei der Ansprache Jugendlicher auf TikTok wieder zu verfangen. Berührungsängste mit rechtsextremen Positionierungen scheinen bei der Generation, die mit einer rechtsextremen Partei aufgewachsen ist, jedoch weniger vorhanden. Es bleibt nur zu hoffen, dass aus einer aktuellen Tendenz bei jungen Wähler*innen kein langfristiges, verfestigtes Weltbild wird.
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Theresa Lehmann und Mareike Stürenburg empfehlen, falls TikTok-Begriffe unklar geblieben sind, den Artikel bei der Amadeu Antonio Stiftung: TikTok-Begriffe erklärt