Wahlbeeinflussung durch koordinierte Social-Media-Kampagnen: Ein praktischer Leitfaden für die Zukunft
von Mădălina Voinea
Die rumänischen Wahlen haben die große Macht der sozialen Medien als Instrument der politischen Mobilisierung deutlich gemacht. Im Gastbeitrag schreibt Mădălina Voinea von der rumänischen Demokratie-Organisation "Expert Forum" von ihren Erfahrungen und entwickelt "einen praktischen Leitfaden für die Zukunft, basierend auf dem rumänischen Fall."
Desillusionierte Wähler, die von korrupten und Klientelpolitik betreibenden Regierungen Rumäniens frustriert waren, ließen sich von einer vielversprechenden und charismatischen Figur, Călin Georgescu, beeinflussen. Dieser rechtsextreme Kandidat nutzte die sozialen Medien, um sich selbst als eine messianische Erlöser-Figur darzustellen - ein Muster, das in ganz Europa zunehmend zu sehen ist.
Die Strategie auf TikTok
In Rumänien war die Wahl gegen das bisherige politische System eine treibende Kraft für Wahlentscheidungen. Doch überraschenderweise unterstützten die Wähler:innen nicht den bekannten rechtsextremen Parteivorsitzenden George Simion, obwohl er online und offline eine riesige Anhängerschaft hat und eine aufstrebende politische Partei anführt. Stattdessen konnte Călin Georgescu, eine relativ unbekannte Person, die Stimmen der Rechtsextremen für sich gewinnen.
Georgescus überraschende Wahl am politischen Mainstream vorbei wurde durch eine sorgfältig konzipierte TikTok-Kampagne ermöglicht. In nur 23 Tagen vor der Wahl stiegen die Aufrufe unter seinem primären Hashtag #calingeorgescu von 6 Millionen auf 140 Millionen an. Die Recherchen des Thinktanks "Expert Forum" ergaben, dass diese virale Welle von nicht authentischen, koordinierten Accounts angeheizt wurde - über 1.000 Fanseiten wurden in exklusive Werbetools für Georgescu umgewandelt.
Warum hat der Digital Services Act nicht geholfen?
Soziale Medien sind eindeutig anfällig für Beeinflussungsversuche: Sie verfolgen Beeinflussungsversuche nicht proaktiv und lassen sie geschehen - es sei denn, sie werden unter Druck gesetzt, sich doch mit solch gefährlichen Kampagnen auseinanderzusetzen. Nun gibt es diese Verfassung der EU den Digital Services Act (DSA), deutsch das Gesetz für Digitale Dienste, in dem ein „systemisches Risiko“ definiert wird, das sich auf die Verbreitung illegaler Inhalte oder auf Inhalte bezieht, die negative Auswirkungen haben, etwa auf die Ausübung der Grundrechte, auf den öffentlichen Diskurs, oder auf Wahlprozesse, um ein paar Beispiele zu nennen.
Der DSA verlangt von Plattformen wie Meta und TikTok, dass sie Risikobewertungen durchführen, um darzulegen, ob sie solche Risiken auf ihren Plattformen sehen und angehen. Das Problem ist, dass diese Bestimmung im Fall der Wahl in Rumänien einfach nicht umgesetzt wurde. Und es wird wahrscheinlich einige Zeit und politischen Druck brauchen, um die digitalen Rechtsvorschriften auch anderswo in der EU durchzusetzen.
Vor Wahlen müssen wir Strategien gegen Desinformationen entwickeln
Wir müssen uns darauf vorbereiten, was im Online-Raum vor den Wahlen passieren kann. Derzeit gibt es keine klare, wirksame Strategie für den Umgang mit sozialen Medien während des Wahlkampfs. Obwohl das Gesetz für digitale Dienste (DSA) vorschreibt, dass sehr große Online-Plattformen (VLOPs) wie Meta und TikTok eine nationale Kontaktstelle für die Behörden bereitstellen müssen, bleibt ihre Reaktionsfähigkeit in Rumänien schwach und weitgehend oberflächlich. Aber in Deutschland dürfte es kaum besser aussehen.
Bei der Überwachung von Beeinflussungsversuchen müssen wir die Verbreitung über koordinierte Netzwerke verfolgen, nicht die offiziellen politischen Konten von Politiker:innen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass eine Betrachtung der politischen Inhalte auch Fan-Accounts umfasst - wie Sport- und Unterhaltungsseiten, die während einer Wahlkampagne vorübergehend in politische Seiten umgewandelt werden. Dies war eine der Hauptstrategien in Rumänien, die verdeckte politische Kampagnen online anwendete, indem sie bereits bestehende Seiten in politische Seiten umwandeln.
Es geht um eine Regulierung, die die Balance zwischen Wirksamkeit und Schutz der Meinungsfreiheit hinbekommt
Die kommende Verordnung über die Transparenz bei der Ausrichtung politischer Werbung (Transparency in Targeting of Political Advertising, TTPA), die im Oktober 2025 in Kraft treten soll, setzt auf die Einführung strengerer Regeln für politische Werbung. Die Reaktionen auf diese Verordnung sind jedoch gemischt. So hat Google beispielsweise angekündigt, lieber politische Werbung auf seinen Plattformen gänzlich zu verbieten, was Bedenken darüber aufkommen lässt, wie ein Gleichgewicht zwischen wirksamer Regulierung und dem Schutz der Meinungsfreiheit erreicht werden kann.
Es muss mehr getan werden, um faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen im digitalen Raum während der Wahlen zu gewährleisten. Leider gibt es keine schnelle Lösung. Die Europäische Kommission, die in erster Linie für die Regulierung von sehr großen Online-Plattformen (VLOPs) wie Meta und TikTok zuständig ist, muss zusammen mit den nationalen Behörden, den sogenannten Koordinatoren für digitale Dienste (DSCs), vor den Wahlen eine umfassende und proaktive Strategie entwickeln. Diese Strategie sollte eine kontinuierliche Überwachung des Online-Informationsumfelds beinhalten, wobei der Schwerpunkt auf der Erkennung und Bekämpfung von Manipulationen politischer Inhalte, Beeinflussungsmaßnahmen, nicht authentischem Verhalten und nicht offengelegter bezahlter Werbung liegen sollte.
Zusammenarbeit zwischen Behörden, Zivilgesellschaft und Wissenschaft hilft
Ein vielversprechender Ansatz zur effektiven Koordinierung der Bemühungen um eine möglichst manipulationsfreie Online-Umgebung ist die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen durch Beiräte, die im Rahmen des Gesetzes für digitale Dienste (DSA) eingerichtet wurden. Deutschland hat dieses Modell bereits umgesetzt, indem es ein unabhängiges Beratungsgremium geschaffen hat, das sich aus Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, dem privaten Sektor und der Wissenschaft zusammensetzt. Dieses Gremium berät die nationale Behörde, die für die Durchsetzung des DSA zuständig ist - in Deutschland ist dies die Bundesnetzagentur.
Die wichtigste und unangenehmste Lehre aus dem rumänischen Fall ist die Bedeutung einer verhältnismäßigen und klaren Reaktion der Behörden. Die Behörden müssen Maßnahmen finden, die nicht nur eingreifen, sondern zugleich die Grundrechte schützen und missbräuchliche Gesetze vermeiden, insbesondere wenn die traditionellen politischen Parteien merken, dass sie an Macht verlieren.
Die Annullierung der Wahlen in Rumänien ist eine höchst umstrittene Entscheidung, und das zu Recht, denn sie birgt die Gefahr einer langfristigen Radikalisierung. In der Zwischenzeit hat es seit den Wahlen im November kaum eine proaktive Überwachung oder Mobilisierung gegeben. Einerseits gelingt es der Regierung nicht, die koordinierte Wahlbeeinflussung nachzuweisen. Andererseits verabschiedet sie aber Gesetze, die das Wahlrecht für rumänische Minderheiten einschränken und das Recht auf freie Meinungsäußerung potenziell beschneiden können. Zensur kann aber keine Lösung sein. Ebenso wenig hilft es, wenn politischen Parteien die Schuld für eine manipulierte Wahlentscheidung nur auf die Bürger:innen abwälzen und keine politische Verantwortung für die Regulierung von Desinformationen in Online-Räumen übernehmen wollen.
Umgang mit Desinformation und Informationsmanipulation bei den EU-Wahlen 2024
Im Kontext der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2024 ist mit einem Anstieg illegitimer Einflussversuche zu rechnen. Darauf bezogene Schutz- und Eindämmungsbemühungen sollten daher umfassend und wirksam gestaltet sein. Sie müssen frühzeitig und langfristig ansetzen und die Komplexität und zyklische Wiederholung des Problems im Blick haben.
Mehr erfahrenZur Autorin
Mădălina Voinea ist ist Koordinatorin der Programme zur Desinformationsbekämpfung beim rumänischen Think Tank "Expert Forum". ". Sie ist spezialisiert auf die Themen digitale Überwachung, internationale Beziehungen und politische Analysen. Dabei liegt ihr Hauptfokus auf der Erfassung von Desinformationen, die auf die Schwarzmeerregion abzielen, insbesondere auf Narrative, die die Ukraine diskreditieren sollen.