Migrantische Kriminalität und die gesellschaftliche Debatte: Ein verzerrtes Bedrohungsbild
von Aileen Krumma, Rowenia Bender, Jennifer L. Führer, Aaron Bielejewski und Kristin Weber
In der gesellschaftlichen Debatte um Kriminalität spielt derzeit die Frage nach migrantischen Straftäter:innen eine zentrale Rolle. Immer wieder wird suggeriert, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellen. Doch die Datenlage gibt dieses Bedrohungsszenario nicht her. Vielmehr zeigt sich, dass strukturelle Verzerrungen und mediale Berichterstattung eine zentrale Rolle bei der Konstruktion dieses Narrativs spielen. Ein Gastbeitrag des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e.V. (ZKFS).
Die Polizeiliche Kriminalstatistik
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) keine geeignete Quelle ist, wenn es darum geht, Aussagen über die Kriminalitätswirklichkeit abzuleiten. Dies liegt unter anderem daran, dass die PKS maßgeblich von dem Anzeigeverhalten und der Aufmerksamkeit der Bevölkerung gegenüber bestimmten Delikten sowie dem polizeilichen Kontrollverhalten beeinflusst wird (Weber & Asbrock, 2024; Weber et al., 2025). So erzeugt der Vergleich von registrierten Straftaten kein realitätsgetreues Abbild der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung. Insbesondere Straftaten von Nichtdeutschen sind dadurch in der PKS überrepräsentiert (Heinz, 2024).
Studien zeigen, dass die Anzeigebereitschaft bei Gewaltdelikten höher ist, wenn die Täter:innen einen Migrationshintergrund haben (z.B. Dreißigacker et al., 2023). Zugleich bleibt der Großteil von Delikten wie z.B. sexueller Missbrauch oder Vergewaltigung im Verborgenen, da die allermeisten dieser Fälle nicht angezeigt werden (z.B. Birkel et al., 2022).
Mithilfe der sogenannten Häufigkeitszahl und der Tatverdächtigenbelastungszahl wird versucht, die Anzahl der Straftaten bzw. Tatverdächtigen ins Verhältnis zu der entsprechenden Bevölkerungsgruppe zu setzen (pro 100.000 der Wohnbevölkerung). Diese Werte können für Nichtdeutsche jedoch nicht valide bestimmt werden, was an der Tatsache liegt, dass in der PKS alle bekannt gewordenen Straftaten und Tatverdächtige erfasst werden, auch von nicht meldepflichtigen (z.B. Tourist:innen) sowie meldepflichtigen, aber nicht gemeldeten Personen. Diese Personengruppen jedoch werden nicht in der Wohnbevölkerung mitgezählt, mit der die Anzahl an Straftaten und Tatverdächtigen ins Verhältnis gesetzt wird, wodurch beide Werte überschätzt werden (Heinz, 2024).
Trotz der zahlreichen Kritikpunkte an der PKS, ist diese eine der wenigen Statistiken, die das Hellfeld, also bekannte Straftaten, abbilden. Sie ist also ein mögliches Werkzeug, um sich der tatsächlich stattfindenden Kriminalität anzunähern.
Kriminalität als soziales Phänomen
Kriminalität ist kein Phänomen, das an eine bestimmte Herkunft gebunden ist. Migrationshintergrund oder Staatsangehörigkeit haben keine Vorhersagekraft für delinquentes Verhalten. Vielmehr sind bei den demografischen Faktoren Alter und Geschlecht entscheidend: Junge Männer begehen häufiger Straftaten als andere Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig sind Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft Opfer von Straftaten, insbesondere von Gewalt. Untersuchungen weisen darauf hin, dass sie signifikant häufiger von direkter oder indirekter Viktimisierung betroffen sind (Bender & Weber, 2023). Solche Erfahrungen sind nicht nur eine persönliche Belastung, sondern verstärken auch gesellschaftliche Ausschlussmechanismen und Stigmatisierung. Die Vorstellung, Migration führe automatisch zu mehr Kriminalität, verkennt diese Realität und lenkt von den eigentlichen Ursachen delinquenten Verhaltens ab.
Begibt man sich auf die Suche nach Faktoren, die kriminelles Verhalten fördern bzw. begünstigen, sollte sich nicht die Frage nach der Herkunft gestellt werden. Vielmehr sollte der Blick auf aktuelle Lebenslagen, soziale Bedingungen wie der sozioökonomische Status und Bildung sowie vergangene (Gewalt)Erfahrungen gerichtet werden. Migration als solche ist also kein Risikofaktor für Kriminalität, vielmehr sind es strukturelle Benachteiligungen, die Menschen in schwierige Lebenssituationen bringen und das Risiko für Delinquenz erhöhen.
Medien und das verzerrte Bild migrantischer Kriminalität
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt, dass eine geringere Anzahl an Straftaten von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund als von deutschen Tatverdächtigen begangen wird. Es stellt sich die Frage, warum Menschen mit Migrationshintergrund, entgegen der offiziellen Daten, als zunehmende Bedrohung im deutschen Raum, insbesondere im Vergleich zu deutschen Tatverdächtigen, wahrgenommen werden.
Die wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung der Bürger:innen wird insbesondere von der medialen Berichterstattung beeinflusst. Massenmedien werden häufig als Quelle für Informationen über Kriminalität in Deutschland herangezogen. Die Nutzung dieser Massenmedien, insbesondere der Boulevardzeitungen und der Nachrichtensendungen privater TV-Kanäle, geht mit einer stärkeren Überschätzung der Kriminalitätsentwicklung einher (Hanslmaier & Kemme, 2016).
Dieser Zusammenhang kann durch die Verzerrung der medialen Berichterstattung in Deutschland erklärt werden. Aufgrund hohen Quotendrucks berichten Massenmedien vor allem über Themen, die das Interesse des Publikums wecken. In Bezug auf die Kriminalität bedeutet das, dass insbesondere über drastische und seltene Delikte berichtet wird. Beispielsweise werden tödliche Delikte daher in den Medienberichten, im Vergleich zur realen Verteilung der Straftaten, überrepräsentiert. Die Berichterstattung weicht also oftmals von dem ab, was offizielle Kriminalitätsstatistiken nahelegen (Hestermann, 2023; Bundeskriminalamt, 2024).
Auch der Anteil der Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund wird medial überrepräsentiert (Hestermann, 2023). Eine Langzeitanalyse der Kriminalitätsdarstellung in den deutschen Medien wies auf eine überproportionale Berichterstattung von Straftaten hin, die von Migrant:innen begangen wurden, die der tatsächlichen Verteilung von Straftaten zwischen deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen nicht entspricht. Die Aufmerksamkeit wird insbesondere bei der Berichterstattung von Gewaltdelikten auf die Herkunft der Tatverdächtigen gelegt, insofern es sich um Tatverdächtige mit Migrationshintergrund handelt (Hestermann, 2023). Denn obwohl ein höherer Anteil an Straftaten, insbesondere Gewalttaten, durch deutsche Täter:innen begangen wird (Bundeskriminalamt, 2024), werden diese in der medialen Berichterstattung eher ausgeblendet (z.B. werden keine Namen genannt; Hestermann, 2023).
Eine mediale Berichterstattung, die Straftaten von Migrant:innen überrepräsentiert, kann auch die Angst vor der Kriminalität, insbesondere der Straftaten von Migrant:innen, verstärken (Hestermann, 2023). Denn die, durch eine verzerrte mediale Berichterstattung, zunehmende wahrgenommene Kriminalität kann auch die Furcht vor Kriminalität zunehmen (Bolesta et al., 2023). Ebenso können Aufschaukelungsprozesse entstehen, die sich (insbesondere auch nach Berichten über Straftaten) gegen migrantisch gelesene Menschen richten und zu Stereotypen, Vorurteilen, Diskriminierung aber auch Gewalthandlungen führen können.
Ein Beispiel für so einen Aufschaukelungsprozess ist das Geschehen nach dem Anschlag in Magdeburg, in dessen Nachgang rassistisch motivierte Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen gegen Menschen mit tatsächlichem oder augenscheinlichen Migrationshintergrund für ein erhöhtes Unsicherheits- und Bedrohungsgefühl aber auch vermehrte Kriminalitätsfurcht geführt haben. Insbesondere rechtsmotivierte Täter:innen haben das Geschehen des Anschlags ideologisch und populistisch instrumentalisiert, um Migrant:innen und migrantisch gelesene Menschen zum Feindbild zu stilisieren (MDR.de, 14.01.2025).
Terrorismus und Radikalisierung: Keine Frage der Herkunft
Ein besonders emotional aufgeladenes Thema in der Kriminalitätsdebatte ist der Terrorismus. Insbesondere bei Straftaten, wie terroristische Anschlägen, bezieht sich die Einordnung dieser Delikte auf die Motivation der Täter:innen (politisch motiviert: rechts, links, ausländische Ideologie oder religiös motiviert). Steht eine ausländische Ideologie, wie beispielsweise der Jihadismus, im Mittelpunkt des Modus Operandi, so wird oft suggeriert, dass islamistische Anschläge ein spezifisches Problem von Menschen mit Migrationshintergrund seien.
In einer Aktenanalyse von verurteilten Syrien-Rückkehrer:innen zeigte sich bei Weber, dass sich unter den 58 Personen, die sich jihadistisch radikalisiert haben, 11 Konvertit:innen (~19%) befunden haben, ursprünglich Christ:innen, die keine familiäre Migrationsgeschichte hatten (Weber, 2023). Das Radicalization Awareness Network gibt an, dass der Anteil von Konvertit:innen im Jihadismus in “europäischen Staaten zwischen zwischen 6 % und 23 %” (RAN, 2021: 4) liegt.
Radikalisierung ist ein komplexer und individueller Prozess, der nicht an Migrationshintergrund, Alter oder Geschlecht gebunden ist. Vielmehr spielen Faktoren wie Lebens- und Identitätskrisen, biografische Belastungen und psychosoziale Umstände eine Rolle (Weber, 2023, 2024, 2025). Zudem ist der islamistische Terrorismus nicht die einzige Form extremistischer Gewalt. Rechtsextreme Anschläge stellen in Europa eine erhebliche Bedrohung dar. Ein Beispiel ist der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik, der 2011 aus christlich-rechtsextremer Motivation heraus ein Massaker verübte.
Von einem Migrationshintergrund auf eine vermeintliche Gefährlichkeit von Personen zu schließen verzerrt die Realität, wie bereits dargestellt. Terroranschläge sind Einzelfalldelikte, die stets eine Einzelfallüberprüfung benötigen. Die Taten wurden zudem von Einzeltätern begangen, die nicht repräsentativ für Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt sind. Täter:innen, Betroffene und Opfer von Terrorismus sind auf allen Seiten und in Bevölkerungsschichten zu finden (Bajana Bilbao, mdr, 27.01.2025).
Fazit: Verzerrte Wahrnehmungen und politische Konsequenzen
Die Debatte um migrantische Kriminalität ist stark durch Wahrnehmungsverzerrungen und mediale Berichterstattung geprägt. Während wissenschaftliche Analysen zeigen, dass Herkunft als Erklärung für Kriminalität wenig aussagekräftig ist, wird in der öffentlichen Diskussion oft ein anderes Bild gezeichnet.
Dies kann zu politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen führen, indem etwa migrationspolitische Maßnahmen mit Kriminalitätsbekämpfung begründet werden. Eine Kriminalpolitik, die darauf abzielt, bestimmte Gruppen pauschal auszugrenzen oder zu stigmatisieren, ist daher weder gerechtfertigt oder verhältnismäßig noch wirksam und praktikabel.
Die eigentlichen Herausforderungen liegen jedoch in sozialen und strukturellen Faktoren, die kriminalpräventiv adressiert werden sollten. Statt repressiver Maßnahmen gegen bestimmte Gruppen sind präventive Strategien gefragt, die soziale Ungleichheit, Bildungschancen und integrative Maßnahmen in den Fokus rücken.
Die größte Bedrohung der Demokratie, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und für das friedliche Zusammenleben der diversen Bevölkerungsmitglieder ist und bleibt noch immer der Rechtsextremismus und das Erstarken rechter Bestrebungen (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2024). Ein faktenbasierter, differenzierter und sachlicher Blick auf Kriminalität ist essenziell, um gesellschaftlichen Spaltungen entgegenzuwirken und wirksame präventive und auch politische Maßnahmen entwickeln zu können.
Literatur (ohne Links)
- Heinz, W. (2024). Wird Deutschland seit zwei Jahren wegen der gestiegenen Ausländerkriminalität unsicherer? Konstanzer Inventar Sanktionsforschung.
- Radicalization Awareness network (2021). Islamismus bei KonvertitInnen – Herausforderungen und Empfehlungen für die Rehabilitationsarbeit. European Commission. Luxemburg.
- Weber, K. (2023). Islamistischer Terrorismus in Deutschland. Analyse der Täterprofile deutscher Syrien-Rückkehrer auf Basis von Gerichtsakten. Springer VS. Wiesbaden.