Rassismus im Wahlkampf: Instrumentalisierung von Geflüchteten - und die Folgen

von Pia Lamberty

In den letzten Monaten kam es zu einer enormen Zuspitzung von rassistischen und abwertenden Debatten über Geflüchtete und Migrant:innen. Selbst demokratische Parteien fordern restriktive Maßnahmen, Integration und Empathie scheinen immer weniger eine Rolle zu spielen. Im Bundestagswahlkampf wird das Thema Migration prominent platziert, Forderungen nach Abschiebehaft und Abweisungen von Geflüchteten an den deutschen Grenzen scheinen immer mehr zum politischen Diskurs zu gehören und normalisieren rassistische Diskurse.

Insbesondere nach furchtbaren Gewalttaten wie in Aschaffenburg oder Magdeburg erlebt man in öffentlich-politischen Debatten vielfach zusätzlich eine auffallende Unkenntnis, wenn es um die tatsächlichen Hintergründe von Gewaltkriminalität geht. Pauschalisierungen und rassistische Narrative dominieren die Debatten, während differenzierte Analysen zu kurz kommen.

Gewalt gegen Geflüchtete

Neue (vorläufige) Zahlen der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) verdeutlichen schon jetzt, dass es im Jahr 2024 zu einem Anstieg der Angriffe auf Geflüchteten-Unterkünfte kam – obwohl es noch Nachmeldungen geben wird. Dabei wurden 14 Menschen verletzt, darunter auch ein Kind (vgl. Die ZEIT).

Anzahl der Tweets, die Erwähnungen migrationsfeindlicher Begriffe beinhalten, von untersuchten AfD-Accounts in den Tagen unmittelbar vor und nach dem Angriff von Aschaffenburg Mitte Januar 2025

Auch außerhalb von Unterkünften kam es wiederholt zu Straftaten und rassistischen Übergriffen. Der Bundesregierung lagen Erkenntnisse zu 179 politisch motivierten Straftaten gegen Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkunft vor, die allein im vierten Quartal 2024 begangen worden waren (vgl. Bundestag.de). Die Dunkelziffer liegt um einiges höher.

Nach dem schrecklichen Terroranschlag im Dezember in Magdeburg auf einen Weihnachtsmarkt, bei dem sechs Menschen getötet und mindestens 299 weitere verletzt wurden, wurden nicht nur online massiv Falschinformationen verbreitet, sondern es kam auch zu einem Anstieg rassistischer Übergriffe bis hin zu Körperverletzungen in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt (vgl. taz). Der "Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt" warnte daher vor einer „Eskalation von Rassismus und rechte Bedrohungen in Folge der Instrumentalisierung des Terroranschlags vom 20. Dezember durch die extreme Rechte und die AfD – sowohl in Magdeburg als auch darüber hinaus“ (vgl. VBRG).

Normalisierung rassistischer Diskurse und Folgen der Stimmungsmache

Rechtsextreme Parteien setzen seit jeher gezielt auf migrations- und flüchtlingsfeindliche Narrative, um ihre Anhängerschaft zu festigen und neue Wähler:innen zu gewinnen. Das zeigt sich auch aktuell. Als Teil des Wahlkampfes verteilte die AfD Karlsruhe sogenannte „Abschiebetickets“ in Briefkästen bei Menschen mit (vermeintlichen) Migrationshintergrund (vgl. tagesschau.de). Forderungen einer „Remigration“ sind offizieller Bestandteil des Wahlprogrammes der rassistischen und rechtsextremen Partei (vgl. Deutschlandfunk).

Doch auch andere, insbesondere konservative Parteien greifen zunehmend auf diese Rhetorik zurück. Forderungen nach "Obergrenzen", "sofortigen Abschiebungen" oder „Asylverfahren in Drittstaaten“ werden als vermeintlich pragmatische Lösungen präsentiert, verschleiern aber oft die realen Herausforderungen und menschenrechtlichen Implikationen. Diese Art des Wahlkampfs bleibt nicht ohne Konsequenzen. Die zunehmende Normalisierung rassistischer Diskurse führt dazu, dass menschenverachtende Positionen immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Geflüchtete und Migrant:innen erleben verstärkt Anfeindungen und fühlen sich zunehmend unsicher in der Gesellschaft.

Stimmung mit Auswirkungen

Die gegenwärtige Stimmung bleibt nicht ohne Folgen. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass rassistische Rhetorik und Diskurse zur Legitimation und Ausübung von Gewalt beitragen können (vgl. Kümpel). Insbesondere Studien über die rassistische Gewalteskalation der 1990er Jahre belegen diesen Effekt.

„Auf Bundesebene kam es zum unglücklichen Streit über das Asylrecht, bei dem viele das Problem als Wahlkampfthema missbraucht und die Diskussion symbolisch weiter verschärft haben. Dies führte dazu, dass eigentlich rechtsextremes Gedankengut in die demokratische Diskussion einfloss, um sich beim vermeintlich wütenden Volk anzubiedern. Dies bot Rechtsextremisten die Möglichkeit einer demokratisch legitimen Profilierung und Legitimierung.“

Fuchs, Marek; Lamnek, Siegfried; Wiederer, Ralf (2003): Querschlaeger. Jugendliche zwischen rechter Ideologie und Gewalt.

Auch laut den Untersuchungen von Hans-Bernd Brosius & Frank Esser trug insbesondere die Primärberichterstattung (und wenig anschließende Berichte) dieser Zeit zur Gewaltverbreitung bei. Die Intensität und Art der Berichterstattung diente für die Täter für weitere rassistische Taten wohl als Ansporn und setzte Hemmschwellen herab (vgl. Academia.eu). Dies zeigt noch einmal, dass sowohl Politik als auch Medien eine Verantwortung tragen, wie sie über Menschen sprechen.

cemas.io

Migrantische Kriminalität und die gesellschaftliche Debatte: Ein verzerrtes Bedrohungsbild

In der gesellschaftlichen Debatte um Kriminalität spielt derzeit die Frage nach migrantischen Straftaten eine zentrale Rolle. Immer wieder wird suggeriert, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellen. Doch die Datenlage gibt dieses Bedrohungsszenario nicht her. Ein Gastbeitrag des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e.V. (ZKFS).

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Folgen für Betroffene werden oft ausgeklammert

Menschen, die aus Kriegs- und Konfliktgebieten nach Deutschland flüchten, erleben in ihren Herkunftsländern, aber auch auf der Flucht, vielfach traumatische Ereignisse, die sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Studien zeigen, dass rund 30 % der geflüchteten Menschen an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden würden, schreibt die BAfF (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V.). In Deutschland angekommen, erleben viele dann, dass es kaum psychotherapeutische Versorgung für sie gibt, die aber so dringend notwendig wäre. Die Belastungen enden auch nicht nach dem Ankommen in Deutschland, sondern setzen sich hier vielfach fort.

Die angemessene Versorgung von psychisch erkrankten Geflüchteten wird auch durch die aktuelle Stimmungsmache erschwert. „Die Diskussion, die wir zurzeit in Deutschland führen, verschlimmert die Symptome und erschwert die Therapie“, beschreibt der Berliner Psychiater Götz Mundle vom gesundheitszentrum für flüchtlinge (gzf) die Folgen der Debatten um Abschiebungen und Verschärfungen der Bedingungen für Geflüchtete und Migrant:innen (vgl. gzf-berlin.de).

Eine ähnliche Einschätzung hat auch Eike Leidgens, der Psychotherapeutische Leiter der Medizinischen Flüchtlingshilfe in Bochum: „Maßnahmen zur Migrationsabwehr, mehr Druck zu Abschiebungen und dergleichen sind hier extrem kontraproduktiv, da sie den Stress erhöhen“ (vgl. derwesten.de). Es geht bei der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten also nicht nur darum, dass es ausreichend Therapieplätze und Übersetzungsmöglichkeiten gibt. Auch rassistische Stimmungsmache wirkt sich direkt auf die mentale Verfassung aus.

Fazit

Der gegenwärtige Umgang mit Geflüchteten, die Stimmungsmache und Hetze haben direkte Auswirkungen auf das Wohlergehen von geflüchteten Menschen. Langfristig untergräbt diese Entwicklung nicht nur das gesellschaftliche Zusammenleben und humanitäre Werte, sondern auch die demokratische Kultur insgesamt.

Reale Probleme benötigen konstruktive Lösungen – auch im Kontext von Flucht und Migration. Mit Populismus und Hetze auf Stimmenfang zu gehen, schadet am Ende nicht nur Geflüchteten, sondern auch der Demokratie selbst. Wenn Parteien rassistische Narrative übernehmen, um kurzfristige Wahlerfolge zu erzielen, spielen sie letztlich denjenigen in die Hände, die die liberale Demokratie infrage stellen.

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