Videos mit Falschbehauptungen über Wahlbetrug – Hinweise auf einen russischen Akteur
von Julia Smirnova
Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl wurden in sozialen Medien mehrere Videos verbreitet, die manipulierte Wahlunterlagen zeigten und behaupteten, Beweise für einen Wahlbetrug zum Nachteil der AfD vorzulegen. Die Videos und ihre Verbreitung deuten darauf hin, dass sie möglicherweise Teil einer russischen Desinformationskampagne sind.
Ab dem 17. Februar wurden in sozialen Medien mehrere Videos verbreitet, die behauptetet, auf Stimmzetteln für die Briefwahl in Leipzig würde die AfD fehlen. Zwei Tage später, am 19. Februar, wurde ein weiteres Video verbreitet, das behauptete, in Hamburg seien Briefwahlzettel mit Stimmen für die AfD vernichtet worden. Die Behörden in Leipzig und in Hamburg haben schnell Richtigstellungen veröffentlicht, in beiden Fällen wurden Ermittlungen eingeleitet. Die Stadt Leipzig teilte mit, dass die Wahlzettel ohne die AfD, die in den Video zu sehen sind, offensichtlich manipuliert worden waren. Auch der Wahlleiter in Hamburg stellte klar, dass das Video, in dem Stimmzettel mit einem Schredder vernichtet werden, gefälschte Wahlunterlagen zeigt.
Laut Medienberichten gehen deutsche Sicherheitsbehörden davon aus, dass der russische Akteur Storm-1516 hinter den Videos steht. Vor der Bundestagswahl beobachtet CeMAS unter anderem die Aktivitäten von Storm-1516. Die Analyse der Wahlbetrug-Videos und ihrer Verbreitung ergibt mehrere Hinweise darauf, dass sie Teil einer russischen Desinformationskampagne sind, deren Ausführer mit dem Akteur Storm-1516 entweder in Verbindung stehen oder gleiche Methoden und das gleiche Verbreitungsnetzwerk verwenden.
Inszenierte Videos und manipulierte Unterlagen
Die Falschbehauptung, die AfD würde auf Stimmzetteln in Leipzig fehlen, wurde mit vier unterschiedlichen Videos illustriert. Alle diese Videos wurden nach einem Muster aufgebaut: Sie zeigen Stimmzettel mit Namen der Kandidierenden in Leipzig und ohne die AfD. Eine Stimme im Off erzählt, die Person habe Briefwahlunterlagen bekommen und festgestellt, dass die AfD darauf fehle:
- Video 1: Eine männliche Stimme im Off, der Text beginnt mit: „Ich habe eine Frage an euch da draußen. Habt ihr die Wahlzettel für die Briefwahl bekommen?..“
- Video 2: Eine männliche Stimme im Off, der Text beginnt mit: „Ähh, ich habe gerade meine Wahlunterlagen bekommen für die Briefwahl..“
- Video 3: Eine weibliche Stimme im Off, der Text beginnt mit: „Ich wollte meine Stimme abgeben. Ich habe also alle Kandidaten durchgesehen..“
- Video 4: Eine männliche Stimme im Off, der Text beginnt mit: „Meine Frau und ich habe heute die Stimmzettel für die Briefwahl bekommen“
Vermutlich hat der Desinformationsakteur hinter der Kampagne gefälschte Stimmzettel erstellt und mehrere Videos produziert, die den Eindruck erwecken sollten, mehrere echte Personen aus Leipzig hätten Wahlzettel ohne die AfD bekommen.
Auch das Video mit der Behauptung, in Hamburg seien die Stimmen für die AfD vernichtet worden, zeigte vermutlich extra für dieses Video erstellte Wahlunterlagen und wurde von einer weiblichen Stimme im Off begleitet, die Parteinamen vorlas, bevor die angeblichen Stimmzettel für die AfD geschreddert wurden.

Diese Taktiken ergeben Parallelen zum früher dokumentierten Vorgehen von Storm-1516. Erstellung von gefälschten Dokumenten und inszenierten Videos ist typisch für diesen Desinformationsakteur. Vor der Bundestagswahl wurden die Aktivitäten von Storm-1516 intensiviert – es wurden Falschbehauptungen für deutsche Politiker:innen verbreitet, etwas die Falschbehauptung, Friedrich Merz sei psychisch krank, die u.a. mit gefälschten ärztlichen Unterlagen belegt wurde. Storm-1516 arbeitet typischerweise mit inszenierten oder KI-manipulierten Videos. Vor der US-Wahl verbreitete Storm-1516 ein inszeniertes Video, das angeblich zeigte, wie Briefwahlzettel mit Stimmen für Donald Trump vernichtet worden seien – die Wahlunterlagen im Video waren jedoch gefälscht.
Diese Taktiken alleine sind nicht ausreichend, um die Videos eindeutig dem Storm-1516 zuzuordnen. Die Verbreitung der Videos enthält jedoch zusätzliche Hinweise auf diesen oder einen damit verbundenen Akteur.
Die Verbreitung: Überschneidungen mit Storm-1516
Bei der Verbreitung der Videos setzten die Akteure hinter der Kampagne auf eine Kombination aus nicht-authentischer Amplifizierung und Verbreitung durch Influencer:innen, denen die Videos entweder zugespielt oder in Kommentare gepostet wurden. Dabei wurden die Videos von mehreren Accounts verbreitet, die davor Desinformationsnarrative von Storm-1516 mehrfach gepostet hatten.
Der erste Post auf X über angeblichen Wahlbetrug in Leipzig, den CeMAS identifizieren konnte, wurde am 17.2.2025 um 21:24 MEZ veröffentlicht. Der Post mit dem Video 1 wurde so formuliert, als würde der Inhaber des Accounts über eigene Erfahrungen sprechen. Innerhalb von 5-6 Minuten nach der Veröffentlichung wurde dieser Post von vier X -Accounts repostet: Alle diese Accounts wurden im Februar 2025 erstellt. Außer des Reposts mit dem Stimmzettel-Video hatten diese Accounts keine anderen deutschsprachigen Posts, ihre andere Posts waren auf Englisch und befassten mit Themen wie KI oder Kryptowährung. An nächsten Tag wurde der Post von dem X-Account "@LindaBergFound" aufgegriffen und mehrfach repostet. Dieser Account verbreitete seit Anfang November 2024 sechs Desinformationsgeschichten von Storm-1516.
Am 18.2.2025 um 08:19 postete der inzwischen gesperrte Account "@savegermanyx" Video 2 und Video 3 als Reply unter einem Post eines pro-AfD Influencers und repostete seinen eigenen Beitrag in der gleichen Minute. Um 08:38 postete "@savegermanyx" Video 2 und Video 4 als Reply unter einem Posts eines anderen pro-AfD Influencers.

Am 18.2. um 11:01 postete der Account "@daniel_gugger" vier Mal Video 1 in einem Post und behauptete, mehrere Menschen aus Leipzig würden berichten, auf ihren Stimmzetteln würde die AfD fehlen. Um 11:04 wurde der Post geändert, so dass das Video 1 nur einmal statt vier mal zu sehen war. Dieser Account verbreitete seit Anfang November 2024 vier Desinformationsgeschichten von Storm-1516.
X-Accounts "@savegermanyx" und "@daniel_gugger" verbreiten auch das Video mit der angeblichen Vernichtung der Wahlzettel in Hamburg - "@savegermanyx" war wieder der zweite Account auf X, der dieses Video in Umlauf gebracht hatte. Dieses Video wurde auch vom Account „@Mina7777Mina“ verbreitet, der davor mehrfach Storm-1516-Inhalte teilte.

Es lässt sich mit Methoden der digitalen Analyse nicht feststellen, ob die Online-Influencer:innen die Videos absichtlich und in Koordination mit deren Urhebern geteilt haben. Für Storm-1516 wurde im US-Kontext festgestellt, dass in mindestens einem Fall einem Influencer Geld für die Verbreitung der Inhalte angeboten wurde.
Aufgreifen durch Politiker:innen
Die Behauptung über einen angeblichen Wahlbetrug in Hamburg wurde von einer AfD-Kandidatin in Hamburg, Nicole Jordan, auf X verbreitet – als eine Kachel mit Screenshots aus dem Desinformationsvideos und als ein Video, das sie selbst dazu aufgenommen hat. Die beiden Posts wurde auch nach der Klarstellung durch den Landeswahlleiter nicht gelöscht und enthielten am 21.2.2025 keine Community Notes. Die Verbreitung dieser Falschbehauptung durch eine politische Kandidatin gibt der Behauptung eine zusätzliche Glaubwürdigkeit.

Die Videos mit der Falschbehauptung über Wahlbetrug in Leipzig wurden auffällig früh von einem englischsprachigen Account des britischen Politikers Jim Ferguson gepostet, der für die Brexit Party bei der Parlamentswahl kandidierte. Er postete die Videos, bevor sie auf Deutsch viral gingen - am 18.2.2025 um 10:35 postete sein Account Video 1, Video 3 und zweimal Video 4 in einem englischsprachigen Post, der später auch von deutschsprachigen Accounts aufgegriffen wurde und insgesamt 1,4 Millionen Views bekam (Stand: 21.2.2025).

Fazit
Mehrere Hinweise deuten darauf hin, dass ein russischer Desinformationsakteur hinter Videos mit Falschbehauptungen über Wahlbetrug steht und versucht, damit die Integrität der Wahl zu untergraben. Unmittelbar am Wahltag sollen Social-Media-Plattformen und die die zuständigen staatlichen Stellen die Aktivitäten dieses Akteurs weiterhin beobachten und eindämmen. Politiker:innen aller Parteien sollen bei der Verbreitung von Behauptungen über Integrität der Wahl die Informationen sorgfältig überprüfen und keine Falschmeldungen amplifizieren.