Migrationsfeindliche Tweets der AfD nach Gewalttaten mit asylsuchenden Tatverdächtigen
von Joe Düker
Accounts der AfD auf X veröffentlichen besonders viele Tweets mit migrationsfeindlichen Inhalten nach Gewalttaten mit asylsuchenden Tatverdächtigen. Wie wirkt sich das im Wahlkampf aus? Dieser Artikel stellt diese Tweets in den zeitlichen Verlauf und gibt eine Übersicht der relevanten Angriffe.
Das Thema Migration im Wahlkampf
In den Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 sind Debatten im Wahlkampf um Verschärfungen der Asyl- und Migrationspolitik im vollen Gange. Im Oktober 2024 hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz erklärt, er wolle eigentlich keinen Migrations- und Einwanderungs-Wahlkampf führen, doch die Union werde sich zu diesen Themen positionieren müssen, wenn es zu keinen gemeinsamen Lösungen mit der Ampel-Koalition komme. Am 24. Januar 2025 nahm die Union dann in Kauf, dass ihr Antrag für mehr Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen im Bundestag mit Stimmen der AfD und FDP eine Mehrheit erhielt.
Die AfD ist die Partei, die durchgehend und am eindeutigsten eine asyl- und migrationsfeindliche Politik verfolgt. Sucht man bei AfD-Accounts auf X.com nach Tweets mit migrationsfeindlichen Inhalten, fällt auf, dass es Zeitpunkte gibt, an denen sich solche Tweets merklich häufen – und zwar nach Angriffen mit asylsuchenden Tatverdächtigen, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde. Konkret veröffentlichten AfD-Accounts besonders viele Tweets mit migrationsfeindlichen Begriffen nach den Anschlägen von Mannheim, Solingen und Aschaffenburg aus den vergangenen neun Monaten. Bevor diese Befunde näher besprochen werden, ist es hilfreich, einen Überblick über die Angriffe und die daraus resultierenden politischen Debatten zu geben.
Der Angriff von Mannheim
Bei dem Angriff in Mannheim am 31. Mai 2024 griff der Täter eine Kundgebung des islamfeindlichen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“ an. Dabei fügte er einem Polizisten mit einem Messer tödliche Verletzungen zu und verletzte fünf weitere Personen, darunter den Vorsitzenden des bayrischen Landesverbandes des Vereins, Michael Stürzenberger. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen Mann aus Afghanistan. Die Bundesanwaltschaft konnte keine dschihadistische Einbindung des Mannes ausmachen, sondern vermutet, er habe zu massiver Gewalt gegriffen, um Kritik am Islam zu unterbinden. Dennoch diskutierte die Politik über islamistische Gefährdung in Deutschland und die Abschiebungen von Schwerstkriminellen – so auch Bundeskanzler Olaf Scholz.
Der Angriff von Solingen
Der Angriff in Solingen ereignete sich am 23. August 2024 auf einem Stadtfest. Der Täter griff wahllos Besucher:innen des Stadtfestes an, tötete drei Personen und verletzte acht Menschen, vier davon schwer. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ beanspruchte den Messerangriff für sich. Da der 26-jährige syrische Tatverdächtige asylsuchend war, für dessen Asylantrag sich Deutschland nach der Dublin-III-Verordnung für unzuständig erklärte und der daher bereits im Juni 2023 nach Bulgarien überstellt werden sollte, wurden erneut politische Debatten über einen härteren Kurs in der Asylpolitik geführt. CDU-Chef Friedrich Merz forderte einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien, was er ein paar Tage später relativierte, da diese Forderung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Außerdem verschärfte die Bundesregierung Ende August 2024 in Reaktion auf den Angriff von Solingen das Waffenrecht und veranlasste, dass Leistungen für bestimmte Asylsuchende gestrichen werden sollen.
Der Anschlag von Magdeburg
Unmittelbar nach dem Angriff von Magdeburg finden sich bei den AfD-Accounts keine Häufung von Tweets mit migrationsfeindlichen Inhalten. Im Zuge der Debatte um die Asyl- und Migrationspolitik im derzeitigen Bundestagswahlkampf wird der Anschlag dennoch häufig gemeinsam mit den Angriffen von Mannheim, Solingen und Aschaffenburg genannt, weshalb er auch hier kurz beschrieben wird.
Bei dem Anschlag in Magdeburg am 20. Dezember 2024 raste ein Auto in die Menschenmenge eines Weihnachtsmarktes. Dabei wurden sechs Menschen getötet und 299 verletzt, der Bund nennt mit Blick auf traumatisierte Augenzeugen insgesamt 531 Opfer. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 50-jährigen Mann aus Saudi-Arabien, der seit 2006 in Deutschland lebt und als Arzt arbeitete. Das Tatmotiv ist noch unklar. Laut Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, passe der Tatverdächtige in kein bisheriges Raster als „Arzt aus Saudi-Arabien, offenbar psychisch auffällig, mit wirrem Verschwörungsdenken, islamfeindlich und mit Nähe zu rechten Ideologien“. Zwar drehten sich politische Debatten nach der Tat daher weniger um das Thema Islamismus, doch Forderungen zur Verschärfung der Migrationspolitik gab es dennoch. So forderte Friedrich Merz, Ausweisungen müssten auch möglich sein, wenn keine Straftatbestände festgestellt seien, und dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen dafür gegebenenfalls geändert werden müssen.
Der Angriff von Aschaffenburg
Bei dem Angriff von Aschaffenburg am 22. Januar 2025 attackierte der Täter eine Kindergruppe in einem Park mit einem Messer. Zwei Menschen – ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung und ein 51 Jahre alter Mann, der zur Hilfe geeilt war – wurden tödlich verletzt, drei weitere Personen erlitten teils schwere Verletzungen. Der Tatverdächtige, ein 28-jähriger Afghane, der in einer Asylunterkunft wohnte, war zuvor wiederholt wegen Gewalttaten aufgefallen und zeitweise in psychiatrischer Behandlung. Bisher gibt es keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv. Wegen eines Asylverfahrens, welches er selbst abgebrochen hatte, war der Tatverdächtige ausreisepflichtig.
Über die Schuld für die versäumte Abschiebung streiten sich derzeit Bayern und der Bund. Darüber hinaus führte auch dieser Angriff zu erneuten Debatten über eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik. Am Tag nach der Tat – und drei Tage nachdem US-Präsident Donald Trump medienwirksam eine Vielzahl an präsidialen Dekreten am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit verabschiedete – sagte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, er würde als Bundeskanzler „am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen". Er forderte außerdem einen massenhaften Abschiebegewahrsam von ausreisepflichtigen Personen.
In einem offenen Brief an Friedrich Merz rief AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel ihn dazu auf, in der Asylpolitik mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten. Schon in der kommenden Sitzungswoche könne man „die erforderlichen Beschlüsse“ fassen, es sei eine „Gelegenheit, die nicht ungenutzt verstreichen darf“, die Mehrheiten dafür seien vorhanden. Mit anderen Worten: die AfD-Kanzlerkandidatin appellierte an den Kanzlerkandidatin der Union, wegen des Vorfalls in Aschaffenburg die Brandmauer demokratischer Parteien gegenüber rechtsextremen Parteien aufzulösen.
Am folgenden Tag, dem 24. Januar 2025, kündigte die Bundestagsfraktion der Union Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik an. Zwar sagte Friedrich Merz, die Anträge würden „ausschließlich unserer Überzeugungen entsprechen“, doch fügte er hinzu, dass die Union die Anträge einbringen werde, „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“ und nahm damit eine Mehrheit für die Unionsanträge mit Stimmen der AfD-Fraktion in Kauf. Am folgenden Mittwoch, dem 29. Januar 2025, erhielt der Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik eine knappe Mehrheit mit Stimmen der AfD – zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestags. Am darauffolgenden Freitag, dem 31. Januar 2025, wurde ein Gesetzentwurf der Union zur Begrenzung der Migration abgelehnt. Aus den Reihen der Union und der AfD gab es keine Gegenstimmen.
Tweets von AfD-Accounts mit Erwähnungen migrationsfeindlicher Begriffe
Auch in ihren Tweets machen Politiker:innen der AfD-Fraktion im Bundestag, AfD-Landesverbände und Landtagsfraktionen, sowie der allgemeine AfD-Account ihre asyl- und migrationsfeindlichen Positionen deutlich. Das Thema Abschiebungen wird von diesen AfD-Accounts auf X.com kontinuierlich bespielt, doch Beiträge mit migrationsfeindlichen Begriffen häufen sich nach den Angriffen von Mannheim (31. Mai 2024), Solingen (23. August 2024) und Aschaffenburg (22. Januar 2025). Die folgende Grafik veranschaulicht dies:
Im Allgemeinen liegt der tägliche Durchschnitt von Tweets für alle untersuchten AfD-Accounts für den Zeitraum Mai 2024 bis Januar 2025 bei ungefähr 120 Tweets.
Nach den Angriffen werden besonders die Themen Abschiebung und Asyl in Tweets der AfD-Accounts behandelt. Gleiches gilt für den Begriff „Remigration“, der von Rechtsextremen als Euphemismus für die Forderung nach massenhaften Ausweisungen von Menschen mit Migrationshintergrund genutzt wird. Auf ihrem Parteitag in Riesa Mitte Januar 2025 nahm die AfD den Begriff „Remigration“ offiziell in ihr Wahlprogramm auf.
Seit dem Angriff von Aschaffenburg verwenden AfD-Accounts außerdem den Begriff „Brandmauertote“, um die Brandmauer demokratischer Parteien gegenüber rechtsextremen Parteien verantwortlich für die Opfer von Gewalt zu machen. Deutlich zu erkennen ist auch, dass es bei diesem in der Wahlkampfzeit stattfindenden Angriff zu besonders vielen Erwähnungen von Abschiebung und Asyl kommt.
Der Anschlag von Magdeburg hingegen führte unter den AfD-Accounts zu keinem Anstieg an Tweets mit den untersuchten Begriffen, obwohl er sich ebenfalls bereits in der Nähe der Wahlkampfzeit ereignete.
Für das Thema „Abschiebungen“ gibt es außerdem noch eine Diagrammspitze am 30. Dezember 2024 (24 Tweets). Hier bezogen sich die AfD-Accounts auf einen Artikel der „Bild“ mit dem Titel „Abschiebe-Hammer der Union“, wonach Asylsuchende nach zwei Straftaten abgeschoben werden sollen. Die AfD-Tweets zogen den Vergleich zwischen Forderungen der Union und der AfD und hoben hervor, dass es mit der AfD gar keine Asylsuchenden in Deutschland geben würde.
Da Tweets zum Angriff von Aschaffenburg in den Zeitraum des Bundestagswahlkampfes fallen und es erstmals zu der Verwendung des Begriffes „Brandmauertote“ kam, lohnt ein näherer Blick auf diesen Zeitraum:
Nach dem Angriff von Aschaffenburg finden sich erstmal mehr Tweets mit Erwähnungen der Forderung nach „Remigration“ als Tweets zu Abschiebungen oder Asyl. Am Tag des Angriffs gibt es insgesamt 36 Tweets, die das Thema Remigration beinhalten – mehr als an jedem anderen Tag im Untersuchungszeitraum. Doch auch AfD-Tweets, die Abschiebungen fordern, finden sich in diesem Zeitraum vermehrt (27 Tweets am Tag des Angriffs). Tweets mit dem erstmals verwendeten Begriff „Brandmauertote“ werden besonders häufig am Tag nach der Tat veröffentlich (22 Tweets).
Fazit
Es wird weiter zu beobachten sein, wie die AfD und ihre Politiker:innen die Themen Migration und Asyl in den finalen Wochen des Wahlkampf nutzen werden. Mit Begriffen wie „Brandmauertote“ kritisiert die AfD sowohl die derzeitige Migrationspolitik als auch Parteien der Mitte. Die Tatsache, dass Debatten um Verschärfungen der Asyls- und Migrationspolitik den Wahlkampf dominieren, kommt der AfD mit ihren langjährigen migrationsfeindlichen Positionen zugute.
Um Aufschluss darüber zu geben, wie diese Debatten andere Themen im Wahlkampf in den Hintergrund rückten, können zukünftige Studien hilfreich sein, die die Aussagen aller Parteien erfassen und im zeitlichen Verlauf vergleichen. Denn es ist nicht allein die AfD, die Debatten über Verschärfungen in der Migrationspolitik nach Gewalttaten mit asylsuchenden Tatverdächtigen immer wieder aufflammen lässt. Dass die Debatte um migrantische Kriminalität stark durch Wahrnehmungsverzerrungen und mediale Berichterstattung geprägt ist, beschreibt ein Gastbeitrag des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e.V. (ZKFS), der hier zu finden ist.
Methode
Die Daten für die Grafiken wurden über das Medienmonitoring-Tool Meltwater erhoben. Vom 1. Mai 2024 bis zum 28. Januar 2025 wurden alle Beiträge auf X.com von Accounts der Mitglieder des Bundestags für die AfD, der AfD-Landesverbände und Fraktionen, sowie des offiziellen AfD-Accounts ermittelt, die die folgenden Begriffe enthalten: Variationen von „Abschiebung“, „abschieben“ und „abgeschoben“; Wörter, die mit „Asyl“ beginnen; Variationen von „Remigration“; und „Brandmauertote“. Hierfür wurden nur die Textinhalte der Tweets berücksichtigt, keine Bild-, Video- oder Audioinhalte.